Ruhepunkt

Märchen

Die weiße Dame

Vor langer Zeit spielte einmal ein kleiner Junge in einem Schachklub. Der Junge hieß Nic und alle verspotteten ihn, weil er immer im Schach verlor. Und jedes Mal, wenn er verlor sagten sie zu ihm: Du kannst überhaupt nicht Schach spielen. Besonders Karlo, der Beste aus Nics Altersgruppe, war immer sehr gemein. Er spottete am lautesten und hetzte die anderen Kinder gegen Nic auf.

So war es auch wieder bei der Kreisjugendeinzelmeisterschaft. In der ersten Runde spielte Nic gegen einen schwachen Gegner aus einem Nachbarverein. Aber wie so oft verlor er. Da verspottete Karlo ihn wieder vor allen anderen. Er erklärte, dass Nic nicht mehr als die Schachregeln könnte und nie gut Schach spielen würde. Die anderen Kinder fielen in den Spott mit ein. Der kleine Nic verließ den Turnierraum, ging ins Freie, wo er alleine war und weinte bitterlich. Da trat auf einmal eine silbrig weiß leuchtende Fee zu ihm und fragte ihn, warum er so sehr weinte. Da erzählte er ihr, dass er immer im Schach verlieren würde und deswegen von allen anderen verspottet würde. Und dass alle sagen würden, er könnte nicht Schach spielen und er auch wirklich nur ganz schlecht Schach spielte. Da reichte ihm die Fee eine handgroße, marmorne, weiße Dame. Die Figur hatte ein Gesicht und dieses Gesicht lächelte ihn an. Da sprach die Fee: "Nimm nun diese Weiße Dame zu dir. Hab sie bei jedem Spiel dabei!" Und wie sie es gesagt hatte, war die Fee verschwunden. Nic ging zurück zum Turnier, das schon begonnen hatte. Er setzte sich an seinen Tisch, er hatte schon 5 Minuten weniger und begann zu spielen. Als er die ersten zwei Züge gezogen hatte, hörte er die Weiße Dame flüstern: "Ja, gut!" Das motivierte ihn. Er strengte sich an, dachte viel weiter als sonst und zog Züge, auf die er früher nie gekommen wäre. Da flüsterte ihm die Weiße Dame noch einmal zu: "Ja, weiter so!" Die anderen Spieler bekamen gar nicht mit, dass die Weiße Dame ihm immer wieder ein Lob zuflüsterte. Nach ca. 10 Zügen gewann Nic einen Bauern. "Super!" flüsterte die Fee. Er spielte immer selbstbewusster und motivierter und bald gewann er eine Figur. "Ja, du schaffst es!" hörte er die Weiße Dame flüstern. Schließlich gewann er die Partie. "Bravo, ich bin stolz auf dich!" flüsterte die Weiße Dame. Nic konnte sein Glück noch gar nicht fassen. Aber kaum kam Karlo, ging der Spott wieder los: "Dein Gegner hat absichtlich verloren, weil er Mitleid mit dir hatte!" spottete er. "Dein Gegner konnte halt auch nicht Schach spielen, nur darum hast du gewonnen." spottete ein anderer. Aber dieses Mal weinte Nic nicht. Er dachte sich jetzt: "Euch zeige ich es!" Bald kam die nächste Partie und auch die gewann er. Der Spott wurde leiser. Als er dann noch einmal gewann, spottete keiner mehr, auch nicht Karlo. Und dann wurde er mit weiß gegen Karlo gelost, der bisher nur einen halben Punkt abgegeben hatte. Nic stellte die Weiße Dame zu Beginn des Spiels neben sich. Karlo drückte die Uhr ohne ihm die Hand zu geben und ohne ihn anzusehen. Nic hörte die Weiße Dame flüstern: "Der ist gar nicht so gut, wie er tut, du kannst gegen ihn gewinnen. Gib dein Bestes!" Das ließ sich Nic nicht zwei Mal sagen. Er zog e4 und entwickelte selbstbewusst seine Figuren. Auch Karlo entwickelte sich selbstbewusst und bald entstand eine spannende Stellung, bei der aber keiner der beiden einen Vorteil erringen konnte. Es gab spannende taktische Abwicklungen, aber nach jedem Abtausch war wieder materieller Gleichstand. Nic sah keine Möglichkeit zu gewinnen und bot Remis. Karlo sah ihn abschätzig an und entgegnete: "Remis gegen dich, da müsste ich mich ja schämen!" Da flüsterte die Weiße Dame zu Nic: "Lass dich nicht verunsichern, du stehst leicht besser!" Als sie das sagte, drehte sich Nic zu ihr. Karlo sah, wie Nic sich dem marmornen Gegenstand zuwendete und merkte, dass dieser Gegenstand für Nic eine große Bedeutung hatte. Dann sah er noch mal in die Stellung und meinte verächtlich: "Warum nachdenken gegen so einen Idioten wie dich!" Er zog einen riskanten Zug. "Jetzt nicht die Nerven verlieren" flüsterte die Weiße Dame. Nic sah sich die Stellung in Ruhe an, dann zog er einen Zug, mit dem Karlo überhaupt nicht gerechnet hatte und mit dem Nic seinen geringen positionellen Vorteil ausbaute. Karlo wurde nervös und zog mehrere schlechte Züge. Nic nutzte jeden schlechten Zug aus und gewann schließlich im Bauernendspiel zuerst einen Bauern, dann noch einen und schließlich einen dritten, da war die Stellung völlig gewonnen. Währenddessen hatte sich eine Traube um die beiden gebildet. Karlo lief hochrot an. Schließlich sprang er vom Brett auf, rannte weg und ließ Nic alleine zurück. Der war völlig verunsichert. "Er hat verstanden, dass es aus ist" flüsterte die Weiße Dame Nic zu. Nic blieb sitzen, bis Karlos Zeit gefallen war. Er hatte gegen Karlo, der ihn immer verspottet hatte, gewonnen! Und das vor allen Augen. Aber das tollste sollte noch kommen: Mit vier Siegen und einer Niederlage war er Kreisjugendeinzelmeister geworden und hatte sich für die Bezirksjugendeinzelmeisterschaft qualifiziert!

Als er das nächste Mal zum Vereinsabend kam, waren die anderen Kinder auf einmal viel netter zu ihm. Die Weiße Dame hatte er natürlich auch hier mit dabei. Sie stand bei jeder Partie neben ihm und motivierte ihn die ganze Zeit. Niemand außer Nic hörte, wenn sie zu ihm sprach, aber alle merkten, wie wichtig dieser Gegenstand für ihn war. Und Karlo hatte auch gemerkt, dass er die Weiße Dame seit Anbeginn seiner Siegesserie bei sich trug. Als Nic einmal aufs WC ging, nutzte Karlo seine Chance. Er sah sich um und stellte fest, dass niemand hinsah. Dann schnappte er die Weiße Dame und schob sie unter seinen Pullover. Er bewegte sich zum Kleiderständer, wo seine Jacke ging. "Du widerwärtiger Dieb, stell mich sofort zurück!" hörte Karlo die Weiße Dame sprechen. Ihm lief es kalt den Rücken herunter. Hatte er sich verhört? Aber dann legte sie nach: "Was für einen miesen Charakter hast du denn eigentlich, du ehrenloser Dieb!" Hastig verstaute er den gestohlenen Gegenstand in seiner Jackentasche. "Dieb, Dieb, Dieb!" hörte er sie immer wieder sagen, auch als er sich schon wieder entfernte. Er setzte sich wieder an ein Schachbrett und begann eine Partie gegen ein anderes Kind. Aber die Stimme der Weißen Dame verfolgte ihn: "Dieb, ehrenloser!" Er konnte sich überhaupt nicht konzentrieren und stellte eine Figur nach der anderen ein.

Derweil kam Nic zurück zu seinem Platz und stellte mit Entsetzen fest, dass die Weiße Dame weg war. Völlig fassungslos blieb er vor dem Tisch stehen, auf dem sie zuvor gestanden hatte. Wo war sie geblieben? Hatte sie sich in Luft aufgelöst? Die Fee, von der sie stammt, war auch auf einmal weg gewesen. War dieser Gegenstand vielleicht nur ein Geschenk auf Zeit? "Nic, spielst du mit mir?" hörte er ein anderes Kind fragen. Nic setzte sich wortlos zu dem anderen Kind und begann wie immer. Aber seine Gedanken kreisten die ganze Zeit nur um die Frage, wo die Weiße Dame geblieben sein konnte. So stellte er eine Figur nach der anderen ein und spielte so schlecht wie früher.

Nachdem Karlo mehrere Partien lang alles eingestellt hatte, entschloss er sich, den Vereinsabend zu verlassen. Aber auf dem ganzen Heimweg hörte er die Weiße Dame sprechen: "Du bist ein ehrenloser Dieb, bring mich gefälligst zurück! Er aber wollte sie auf gar keinen Fall zurückbringen, schließlich wollte er nicht noch einmal gegen Nic verlieren. Sie aber ließ ihm keine Ruhe und beschimpfte ihn die ganze Zeit. Schließlich holte er sie aus seiner Jackentasche und sah sie an. Ihr Gesicht sah zornig aus. "Du widerwärtiger Dieb!" sprach sie wieder zu ihm. Obwohl sie wehrlos in seiner Hand war, wirkte er allein durch ihre Worte fast verängstigt. Schließlich schleuderte er sie weit von sich und rannte so schnell er konnte weg. Tatsächlich konnte er ihre Stimme bald nicht mehr hören.

Nic verließ auch bald den Vereinsabend. Noch immer beschäftigte ihn die Frage, was aus der Weißen Dame geworden sein konnte. Auf einmal sah er ein kleines Mädchen, das noch kleiner war als er, weinend am Straßenrand sitzen. Er musste zurückdenken, als er selber geweint hatte, weil er von allen anderen geärgert worden war. Und ihm fiel die Begegnung mit der Fee ein. Nun wollte er selber wie die Fee sein und fragte das Mädchen: "Warum weinst du denn?" "Mein Flummi ist mir in den Gulli gefallen. Nic sah sich den Gullideckel an. Er hatte schon einmal gesehen, wie ein Erwachsener so einen Deckel einfach hochgehoben hatte und einen Korb herausgeholt hatte, in dem lauter Dreck war. Das wollte er auch probieren. Er packte den Gullideckel mit beiden Händen und zog mit aller Kraft nach oben. Tatsächlich schaffte er es, den Deckel zu öffnen. Und nun sah er auch einen weißlichen Flummi. Er streckte seine Hand nach unten, holte den Flummi hervor und schob den Gullideckel wieder an seinen alten Platz. "Hier hast du deinen Flummi" sagte er zu dem Mädchen. Diese strahlte über das ganze Gesicht. "Tausend Dank! Weißt du, dass er magisch ist? Ich habe ihn von einer silbrig weißen Fee geschenkt bekommen!" "Von einer silbrig weißen Fee?" "Ja, er kann alles finden, was du suchst. Willst du es ausprobieren?" "Ja, gerne" "Dann sag ihm, was du suchst und wirf ihn auf den Boden" Das Mädchen, dass Sofie hieß, reichte Nic den Flummi. Jetzt erst sah Nic, dass der Flummi auch ein Gesicht hatte. Dieses Gesicht sah ihn immer an, egal wie er den Flummi drehte. "Lieber Flummi, kannst du die Weiße Dame wiederfinden?" fragte er. Das Gesicht des Flummis blinzelte ihm zu. Er warf den Flummi auf den Boden. Dieser prallte ein paar Mal ab. Doch dann rollte er nicht, wie Flummis es so tun, geradewegs nach unten, sondern er rollte die Straße hinauf. Die beiden Kinder verfolgten ihn. Der Flummi bog Straßen ab, sprang Treppen herauf und wieder herunter, rollte über Schotterwege und über Wiesen. Die beiden Kinder rannten ihm blind hinterher. Schließlich blieb der Flummi vor einem Gestrüpp stehen. "Du bist am Ziel, hier muss die Weiße Dame sein, die du suchst" sagte Sophie zu Nic. Nic sah sich den Strauch an und tatsächlich hing dort die Weiße Dame in den Ästen. Nic war überglücklich. Die beiden Kinder wurden Freunde fürs Leben. Nic brachte Sophie auch die Spielregeln bei, sie wurden beide großartige Schachspieler. Als sie erwachsen waren, heirateten sie und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.


Hungriges Mäuschen

In einer kleinen Mäusefamilie bat die Mäusemama ihr ältestes Kind, ein Stück Speck für das kranke Geschwisterchen zu suchen. Da verließ das ältere Mäusekind die Mäusehöhle, um den Auftrag der Mäusemama zu erfüllen. Lange musste es suchen, bis es endlich ein Stück Speck gefunden hatte. Durch die lange Suche hatte es aber selber großen Hunger bekommen. Der Speck roch so lecker, dass Mäuschen ihn am liebsten selbst verspeist hätte. Aber weil das kleine Geschwisterchen den Speck brauchte, nahm es den Speck ins Maul und wollte damit zurück zur Mäusehöhle gehen. Doch als es das Speckstück im Maul hatte, schmeckte er so lecker, dass es nicht widerstehen konnte und einen guten Biss davon nahm. Bald konnte es wieder nicht widerstehen, blieb stehen und biss noch einmal hinein und bald noch einmal.

Da hörte es auf einmal die Stimme der Mäusemama. Hastig verschlang es den letzten Bissen und rannte fort von der geliebten Mama. Denn Mäuschen schämte sich und wollte der Mama nicht erzählen, dass es den ganzen Speck selber gegessen hatte. Aber Mäuschen wusste auch, dass die Mama eine gute Nase hatte und sofort riechen würde, dass Mäuschen nach Speck roch. Mäuschen fand eine fremde Höhle und versteckte sich darin, damit die Mäusemama es nicht finden konnte. Mäuschen wusste, dass die Mäusemama nie in fremde Höhlen ging. Aber die Mama war noch in der Nähe und rief nach Mäuschen. Mäuschen verkroch sich noch tiefer in der Höhle und wartete, bis die Mama weg war. Als es die Rufe nicht mehr hörte, wollte es die Höhle wieder verlassen, doch auf einmal sah es große, bedrohliche Augen. Die Höhle gehörte einem Fuchs, der wütend war, weil Mäuschen in seine Höhle eingedrungen war. Gerade rechtzeitig konnte Mäuschen wegrennen, doch der Fuchs verfolgte es. In der Höhle gab es einen kleinen Abzweig, der war so klein, dass nur Mäuschen hindurchpasste, der Fuchs aber nicht. Hier hinein flüchtete Mäuschen. Doch weit kam es nicht, der Gang endete bald. Der Fuchs blieb kurz vor dem kleinen Eingang stehen. Dann begann er mit seinen Pranken zu graben, damit er an Mäuschen herankam. Die einzige Chance, die Mäuschen hatte, war selber weiter zu graben. Und so grub es den Gang nach oben weiter. Doch der Fuchs war mit seinen riesigen Pranken viel schneller als Mäuschen und näherte sich ihm immer weiter. In letzter Sekunde schaffte es Mäuschen, mit seinem selbst gegrabenen Gang ins Freie zu gelangen. Doch auch hier verfolgte es der Fuchs. Er jagte Mäuschen durch den Wald, bis es schließlich Zuflucht in einem kleinen Baumloch fand. Hier konnte der Fuchs nicht folgen und sich auch nicht vorgraben. Aber Mäuschen konnte das Baumloch auch nicht verlassen, ohne vom Fuchs gefangen zu werden, denn er lauerte die ganze Zeit vor dem Baumloch. "Lass mich doch gehen, lieber Fuchs" bettelte Mäuschen. "Ich bin so klein, mit mir wirst du sowieso nicht satt." Da antwortete der Fuchs: "Ich werden durch dich wirklich nicht satt, aber du bist in meine Höhle vorgedrungen und ich lasse niemanden am Leben, der in meine Höhle eindringt." "Ich wusste nicht, dass sie dir gehört und ich nicht reindarf. Ich verspreche dir, nie wieder in die Höhle zu gehen, wenn du mich laufen lässt." Der Fuchs dachte kurz nach. "Also gut, für heute lasse ich dich gehen. Aber wage es nie wieder, in meine Höhle zu kommen." Mäuschen versprach, nie wieder seine Höhle zu betreten und der Fuchs ging fort. Als er weg war, kam Mäuschen aus dem Baumloch hervorgekrochen und wollte nun einen neuen Speck für sein Geschwisterchen suchen. Doch der Fuchs war bösartig. Er hatte Mäuschen angelogen und sich nur versteckt. Als Mäuschen an seinem Versteck vorbeikam, sprang er mit einem Satz heraus. Doch die Sonne blendete ihn und er verfehlte Mäuschen knapp. Dieses konnte noch einmal Reißaus nehmen. Wieder verfolgte der Fuchs Mäuschen, bis es schließlich auf einen größeren Ast sprang, der sich von selber fortbewegte.

Der Ast bewegte sich aber nur deswegen weiter, weil er in einem reißenden Fluss schwamm. Mäuschen sah noch, wie der Fuchs seine Pfote in den Fluss streckte, aber gleich wieder zurückzuckte. Offensichtlich hatte er Angst, das Mäuschen hier weiter zu verfolgen. Doch der Ast bewegte sich immer schneller vorwärts und Mäuschen musste alles tun, um nicht ins Wasser zu fallen. Mäuschen hörte ein lautes Rauschen und dann sah es voller Entsetzen, warum der Ast so schnell schwamm: Er wurde von einem Wasserfall angezogen. Mäuschen sah sich hilfesuchen um. Es sah einen größeren Stein, der aus dem Fluss herausragte und sprang darauf. Es blickte dem Ast nach, der den Wasserfall herunterschwamm. Nun saß Mäuschen zwar sicher auf einem Felsen, doch es war gefangen. Es hatte nichts zu fressen und war weit weg von der Mäusehöhle und der Mäusefamilie.

Da merkte es erst, wie dumm es war, wegen dem gefressenen Speck von der Mäusemama abzuhauen. Die Mama hätte vielleicht geschimpft, aber jetzt hatte Mäuschen die ganze Familie verloren und drohte jämmerlich zu verhungern. Es fing fürchterlich an zu weinen. Da flog auf einmal ein weißes Täubchen zu ihm hernieder und fragte, warum Mäuschen denn so weinen würde. Da erzählte Mäuschen dem Täubchen die ganze Geschichte. Das Täubchen kannte aber die Mäusemama. Es lud Mäuschen ein, sich an seinen Krallen festzuhalten. Mäuschen krallte sich fest, Täubchen hob mit ein paar kräftigen Flügelschlägen in die Luft ab und flog zurück zur Mäusehöhle. Die Mäusemama hatte ihr Kind schon überall gesucht. Als sie das Täubchen anfliegen sah, fragte es, was passiert sei. Da erzählte Mäuschen der Mäusemama die ganze Geschichte. Die Mäusemama nahm ihr Mäuschen liebevoll in den Arm. Natürlich fand sie es nicht so schön, dass Mäuschen den Speck alleine aufgefressen hatte, schließlich brauchte es ja das kranke Geschwisterchen. Aber so schlimm sei das auch nicht gewesen, denn als die Mäusemama nach dem Mäuschen gesucht hatte, fand es auch einen Speck. Der war auch noch so groß, dass es Wochen für die ganze Familie reichen würde. Und so lebten sie noch viele Jahre vergnügt zusammen. Und Mäuschen nahm sich vor, sich nie wieder zu verstecken, wenn es mal etwas aufgefressen hatte.


Mäuselchen

Vor vielen Jahren lebte in Maushausen die junge Maus Mäuselchen glücklich mit ihrer Familie. Mäuselchen hatte neben ihren Eltern auch zwei große Brüder. Sie alle arbeiteten jeden Tag hart, damit die Familie genug zum Essen hatte. Nur Mäuselchen war noch klein und musste nichts arbeiten, sie wurde von Mäusemama, Mäusepapa und den beiden Brüdern versorgt.

Doch irgendwann war auch Mäuselchen so groß geworden, dass es lernen musste zu arbeiten. Und so wurde Mäuselchen zur Mäuseschule geschickt. Hier lernten die jungen Mäuse, wie man einen Mäusebau baut und wie man Höhlen gräbt. Dazu musste Mäuselchen viele Steine und Erdreich tragen. Doch schon nach kurzer Zeit war es von der schweren Arbeit erschöpft und hatte keine Kraft mehr, um weiterzuarbeiten. Da wurde der Mäuselehrer wütend und schalt Mäuselchen, dass es faul sei und sich vor der Arbeit drücken wollte. Dieser Vorwurf lastete so schwer auf Mäuselchen, dass es zu gar keiner Arbeit mehr in der Lage war. Es sah nur noch traurig den anderen Mäusen zu und hätte so gerne genauso viel Kraft gehabt wie sie. Da schalt der Mäuselehrer Mäuselchen noch lauter und schärfer. Er schrie es an und warf ihm vor, dass es die faulste Maus der Welt sei. Da wurde Mäuselchen noch unglücklicher und versteckte sich vor allen anderen, weil es sich schämte nichts leisten zu können. An den folgenden Tagen lief es genauso und schließlich musste Mäuselchen die Mäuseschule verlassen. Es kam furchtbar unglücklich zurück zur Elternhöhle, wo es von den Mäuseeltern gescholten wurde. Sie warfen ihm auch vor, aus Faulheit nicht gearbeitet zu haben, damit es von der Schule verwiesen wird. Da begann Mäuselchen laut zu weinen und versicherte den Eltern, dass es gerne mitgearbeitet hätte, aber dass ihm die Kraft dazu fehlte.

Da ging die Mäusemama gemeinsam mit Mäuselchen zur schlauen Maus. Die schlaue Maus hatte ihren Namen bekommen, weil sie auf jede Frage eine Antwort gab. Sie war weit über Maushausen bekannt und nahm sich stets viel Zeit für jede Maus, die Rat bei ihr suchte. Die Mäusemama erzählte der schlauen Maus von Mäuselchens Versagen in der Mäuseschule. Aufmerksam hörte die schlaue Maus der Mäusemama zu, dann sprach sie mit sanfter Stimme:
"Es gibt drei Talente, die eine Maus haben kann: Sie kann entweder arbeiten oder rechnen oder singen. Wenn Mäuselchen also nicht gut arbeiten kann, dann kann es vielleicht gut rechnen oder gut singen."
Jedes Wort unterstrich die schlaue Maus mit einer Geste und ihr Gesichtsausdruck gab jedem Satz noch tiefere Bedeutung. Sowohl Mäuselchen als auch die Mäusemama waren wie verzaubert von ihr und glaubten alles, was sie sagte. Die Mäusemama war erleichtert und ließ sich von der schlauen Maus sagen, wo Mäuselchen rechnen lernen könnte – denn weder der Mäusepapa noch die Mäusemama waren dazu in der Lage. Die schlaue Maus zeigte der Mäusemama den Weg und diese machte sich mit Mäuselchen auf den Weg zur Rechenschule. Doch die Lehrer an der Rechenschule wollten nur die besten der besten Rechner unter den Mäusen haben. Darum gab es nach einer Woche Schulbesuch eine Aufnahmeprüfung. Wenn es die bestand, durfte es bleiben, sonst musste es wieder gehen. Eine zweite Chance gab es nicht.

Am nächsten Tag ging Mäuselchen freudig zur Rechenschule. Mäuse, die rechnen konnten, gab es nur wenige und mit dem ersten Tag an der Rechenschule war Mäuselchen davon überzeugt, zu diesen wenigen Mäusen zu gehören. Doch die Kunst des Rechnens erwies sich schwieriger als gedacht. Am Tag 1 in der Mäuseschule lernte Mäuselchen die Zahlen von 1 bis 5 kennen und musste die Reihenfolge dieser fünf Zahlen in und auswendig kennen. Das bereitete ihm große Schwierigkeiten. Doch in den Tagen 2 und 3 sollte es noch schwieriger kommen: Mäuselchen sollte diese Zahlen auch zusammenzählen können: Wieviel ist 1 + 1, wieviel 2 + 2, wieviel 3 + 2 usw. Als ob das für Mäuselchen nicht schon schwer genug gewesen wäre, musste es in den Tagen 4 und 5 auch noch Zahlen voneinander abziehen können: Wieviel ist 5 – 1, wieviel 4 – 2 usw. Mäuselchen brachte alles durcheinander und konnte nicht einmal mehr das, was es zu Beginn noch konnte. In den letzten beiden Tagen der Woche gab es keinen Unterricht mehr. Mäuselchen hatte noch zwei Tage Zeit, sich zu Hause auf die Prüfung vorzubereiten. Doch je mehr Mäuselchen das Rechnen zu verstehen versuchte, desto weniger verstand es. Nachts konnte es nicht schlafen und tagsüber war es müde und konnte nicht mehr denken. Schließlich kam der Tag der Prüfung. Mäuselchen hatte die ganze Nacht nicht geschlafen und ging voller Angst in die Prüfung. Die Prüfermaus sah, dass es Mäuselchen nicht gut ging.
"Bist du sicher, dass du an der Prüfung teilnehmen möchtest? Du kannst auch gleich aufgeben, wenn du willst!"
sagte sie mit herablassendem Tonfall. Mäuselchen dachte kurz nach. Aufgeben, ohne es wenigstens einmal versucht zu haben? Was würde da die Mäusemama und der Mäusepapa denken? Nein, es wollte auf jeden Fall versuchen zu bestehen. "Ich will es versuchen" sagte Mäuselchen schüchtern. "Dann nenne mir die Zahlen von 1 bis 5 in der richtigen Reihenfolge" forderte die Prüfermaus streng. "Muss ich jetzt abziehen oder zusammenzählen?"
fragte Mäuselchen unsicher. Da schrie die Prüfermaus Mäuselchen an: "Diese Frage konnte bisher noch jede andere Maus vor dir beantworten. Du bist die einzige Maus, die diese Frage nicht beantworten konnte! Du bist die einzige Maus, die diese Frage nicht beantworten konnte! Du bist dumm, dumm und einfach nur dumm!"
Nach diesen Worten traute sich Mäuselchen gar nicht mehr, etwas zu sagen. Verängstigt blieb es vor der Prüfermaus stehen und brachte kein Wort mehr heraus. Minuten des Schweigens vergingen, bis die Prüfermaus die Prüfung beendet und Mäuselchen zusammenschrie: Du glaubst doch nicht ganz im Ernst, dass wir so eine dumme Maus wie dich hier aufnehmen können? Du bist die dümmste Maus, die ich je erlebt habe. Hau ab von hier und lass dich nie wieder blicken!"
Weinend rannte Mäuselchen nach Hause. Die Mäusemama und der Mäusepapa waren schwer enttäuscht über Mäuselchen. Hatten sie sich doch gewünscht, eine Rechenmaus als Kind zu haben, mit der sie überall angeben konnten. So blieb noch die letzte Möglichkeit, die Gesangsschule auszuprobieren.

Am nächsten Tag gingen Mäuselchen mit dem Mäusepapa zur schlauen Maus, die ihnen den Weg zur Gesangsschule zeigte. Hier wurden sie von der großen Gesangsmaus in Empfang genommen. Um in der Gesangsschule aufgenommen zu werden, musste Mäuselchen der Gesangsmaus ein Lied vorsingen. Doch Mäuselchen kannte gar kein Lied und wusste nicht, was es hätte vorsingen können. Da forderte die Gesangsmaus Mäuselchen auf, ihr ein Lied nachzusingen. So sang die Gesangsmaus ein Lied vor und bald stimmte Mäuselchen voller Begeisterung mit ein. Es machte ihm Spaß zu singen. Aber auf einmal brach die Gesangsmaus ab und fuhr Mäuselchen an: "Hör auf zu singen, das klingt ja furchtbar! In meinem ganzen Leben habe ich noch nie jemanden so schlecht singen gehört! Du singst grauenvoll! Nein, wer so unmusikalisch ist wie du, den können wir hier beim besten Willen nicht aufnehmen." Der Mäusepapa hörte alles. Er wurde zornig und schrie Mäuselchen an: "Du kannst keine Mäusearbeit verrichten, du kannst nicht rechnen, du kannst nicht singen. Du kannst einfach gar nichts! Du bist ein Schandfleck für unsere Familie. Hau ab, ich will dich nie wieder sehen!"
Da rannte Mäuselchen weinend davon. Es rannte fort von zu Hause, fort von Maushausen, ohne Ziel, immer nur weg. Und während es rannte, weinte es ununterbrochen. Und immer wieder musste es daran denken, was man ihm gesagt hatte: "Du bist die faulste Maus der Welt; du bist die einzige Maus, die diese Frage nicht beantworten konnte; du bist dumm, dumm und einfach nur dumm; in meinem ganzen Leben habe ich noch nie jemanden so schlecht singen gehört; du kannst einfach gar nichts! Du bist ein Schandfleck für unsere Familie" Diese Worte der erwachsenen Mäuse verfolgten sie, wohin sie auch rannte.

Stundenlang war Mäuselchen gerannt, stundenlang hatte es geweint. Es hatte Maushausen hinter sich verlassen, war irgendwo im Wald und fühlte sich völlig wertlos. Es versteckte sich hinter einem Busch und stärkte sich an einer Haselnuss. Es hatte Angst, von anderen Mäusen gesehen zu werden. Es wollte nicht noch einmal erleben, nichts zu können und dafür von allen verachtet zu werden. Doch dann sah es eine etwas ältere Maus, die weinend an dem Busch vorüberzog. Mäuselchen verspürte Mitleid und fühlte sich sofort zu der fremden Maus hingezogen. Da kroch es aus seinem Versteck und sprach zu der fremden Maus: "Wer bist du und warum weinst du?" Die fremde Maus fühlte sich verstanden und antwortete:
"Ich bin Mausi und ich weine, weil ich nirgendwo gut bin. Ich wurde für einen Wettbewerb im Bauen eines Mäusebaus vorgeschlagen, aber da wurde ich nur 3. Weil ich hier nicht erfolgreich war, ging ich zur schlauen Maus. Die sagte mir, Mäuse sind entweder gut im Bauen, Rechnen oder Singen. Also versuchte ich es mit Rechnen. Ich ging zur Rechenschule, wurde auch hier für einen Wettbewerb vorgeschlagen. Ich hatte noch weniger Erfolg und landete auf dem 5. Platz. Also versuchte ich es mit dem Singen. Ich ging zur Gesangsschule, wurde auch hier für einen Wettbewerb vorgeschlagen und schnitt noch schlechter ab. Ich wurde letzter. Drei Wettbewerbe und bei jedem bin ich schlechter geworden."
Mäuselchen sah Mausi schweigend an und konnte nicht verstehen, warum sie so unglücklich war. Aber dann sagte Mausi voller Erleichterung etwas, was Mäuselchen überhaupt nicht mehr verstand:
"Danke, du hast mir wirklich sehr geholfen!"
"Geholfen? Ich habe doch gar nichts gemacht. Wie soll ich dir dann geholfen haben?"
"Aber du warst die erste Maus, der ich das alles erzählen konnte. Das hat mir sehr geholfen. Die anderen Mäuse haben sich für mich nur interessiert, wenn ich gewonnen habe. Hatte ich weniger Erfolg, haben sie sich für die besseren Mäuse interessiert. Oder sie haben gemeckert, weil ich nicht gut war. Du saßt dagegen die ganze Zeit da und hast mir zugehört."
"Und warum haben die anderen dir nicht zugehört?"
"Ich weiß es nicht, vielleicht ist Zuhören auch ein Talent."
"Aber die schlaue Maus sagt doch, es gibt nur drei Talente: arbeiten, rechnen und singen. Wenn ich zuhöre, arbeite ich nicht, ich rechne nicht und ich singe auch nicht. Eigentlich mache ich gar nichts. Ich kann ja auch gar nichts machen. Ich war auf der Mäuseschule, auf der Rechenschule und auf der Gesangsschule. Aber überall wurde ich fortgeschickt, weil ich nichts konnte. Von Wettbewerben wusste ich gar nichts."
"Zum Wettbewerb kamen immer die drei Klassenbesten. Dort trifft man sich dann mit zahllosen Mäusen aus vielen anderen Orten."
"Du warst also in allen Fähigkeiten einer der Klassenbesten? Dann musst du ja unwahrscheinlich begabt sein! Ich wusste gar nicht, dass es solche Mäuse wie dich gibt. Ich selber durfte nicht einmal an den Schulen bleiben."
"Du kannst es bestimmt auch zu den Wettbewerben schaffen. Du hast mir sehr geholfen, darum helfe ich dir jetzt. Ich kann dich trainieren. Wo soll ich dich trainieren: Beim Arbeiten, beim Rechnen oder beim Singen?"
"Beim Rechnen. Ich wäre so gerne eine große Rechenmaus geworden."
"Wenn das dein großer Wunsch ist, dann wirst du es auch werden. Also: Wo sind deine Schwierigkeiten?"
"Eigentlich bei allem. Ich kann mir nicht einmal die Zahlen vorstellen."
"Ihr habt bestimmt die Zahlen von 1 bis 5 kennengelernt. Denke aber nicht an die Zahlen, sondern ans Essen, dann verstehst du es sofort. Stell dir vor, du suchst Nüsse und findest nur eine. Dann wärst du unzufrieden. Findest du dann noch eine, hast du zwei, dann bist du weniger unzufrieden. Findest du noch eine, hast du drei, dann bist zu zufrieden. Findest du noch eine, hast du vier, dann bist du glücklich. Und findest du noch eine, dann hast du fünf und bist sehr glücklich. Wenn du dir die Zahlen von 1 bis 5 also nicht vorstellen kannst, dann denke bei 1 an unzufrieden, bei 2 an weniger unzufrieden, bei 3 an zufrieden, bei 4 an glücklich und bei 5 an sehr glücklich. So kannst du dir die Zahlen von 1 bis 5 vorstellen."
Mäuselchen versuchte sich das vorzustellen und konnte tatsächlich auf einmal die Zahlen verstehen. "Ok, aber wie funktioniert jetzt das plus-Rechnen?"
"Das kann man sich auch ganz einfach vorstellen. Stell dir vor, du hast eine Nuss und suchst weitere. Dann findest du noch eine, wie viele hast du dann?" "Ähhhm, ..."
"Stell dir die Nüsse vor, die vor dir liegen, wie zufrieden bist du?"
"Weniger unzufrieden, also 2"
"Genau. Das war die Rechnung 1 + 1. Aber nun stell dir vor, du hast eine Nuss und findest auf einen Schlag gleich zwei Nüsse. Wie viele hast du dann?"
Mäuselchen überlegte eine Weile. "Ich glaube, dann sind es drei"
"Ja, geht doch, spitze" freute sich Mausi. So funktioniert das plus. Du musst dir einfach nur vorstellen, dass du Nüsse sammelst und welche findest, dann weißt du, wie plus funktioniert. Jetzt versuch es weiter: Du hast zwei Nüsse und findest noch einmal zwei Nüsse, wie viele hast du dann?"
Mäuselchen überlegte eine Weile und sagte dann: "Drei Nüsse"
"Das glaube ich nicht, versuch es noch einmal". Mäuselchen überlegte noch einmal länger: "Nein vier Nüsse"
"Ja, großartig, du kannst es doch!"
"Und du kannst super erklären. Außerdem macht es bei dir viel mehr Spaß als in der Schule. Und so stellte Mausi immer weitere Rechenaufgaben und Mäuselchen wurde immer besser im Plus-Rechnen.
"Und wie geht es mit dem Minus Rechnen, was soll ich mir da drunter vorstellen?" "Du hast dir nun einen Vorrat von 5 Nüssen angesammelt. Aber dann kommt eine fremde Maus und klaut dir 3 Nüsse. Wie viele hast du dann noch?"
Mäuselchen überlegte eine Weile und nachdem es einmal falsch lag, berechnete es den richtigen Wert.
"Siehst du, das war die Rechnung 5 – 3 = 2."
Wieder stellte Mausi Mäuselchen zahlreiche Rechenaufgaben, lobte es, wenn das Ergebnis stimmte und war geduldig, wenn Mäuselchen sich verrechnete. So vergingen ein paar Tage, die beiden wurden dicke Freunde und beschlossen, gemeinsam zurück nach Maushausen zu gehen.

Mäuselchen wollte am liebsten wieder glücklich bei seinen Eltern leben wie früher. Aber es traute sich nicht, anzuklopfen. Zwar konnte es inzwischen rechnen, aber es war ja trotzdem nicht auf der Rechenschule. Mausi empfahl Mäuselchen, bei der Rechenschule um eine zweite Chance zu bitten. Würde es dort aufgenommen werden, dürfte es sicher auch wieder zurück in die Elternhöhle. Also klopfte es bei der Mäuseschule, erzählte von seinen Erfolgen und bat um Wiederaufnahme. "Nein, wer einmal abgelehnt ist, darf hier nie wieder kommen"
sagte ihr die Maus am Eingang kühl. Doch Mäuselchen gab nicht auf und bettelte: "Aber ich kann doch wirklich rechnen. Darf ich es beweisen? Holen Sie die Prüfermaus, sie soll mir eine Aufgabe stellen. Die Maus am Eingang wurde verlegen, schließlich gab sie nach und holte die Prüfermaus. Die kam, sah Mäuselchen zornig an und fauchte:
"Was willst du strohdumme Maus denn schon wieder? Du hast doch gezeigt, dass du nicht rechnen kannst!"
Mäuselchen bekam Angst. "Ich kann es jetzt aber" sagte es leise und schüchtern. "Da lachen ja die Hühner. Wieviel ist 3 + 2?"
fragte die Prüfermaus und sah Mäuselchen bohren an. Da vergaß Mäuselchen alles, was es gelernt hatte. So sehr es sich anstrengte, die Antwort fiel ihm nicht ein. "Wir brauchen hier keine Idioten, hau ein für alle Mal ab!"
schrie die Prüfermaus. Weinend rannte Mäuselchen aus der Schule, wo es von Mausi empfangen wurde. "Was war los?"
fragte Mausi. Mäuselchen erzählte die ganze Geschichte. Und während es erzählte, fiel ihm auch die richtige Antwort auf die Frage der Prüfermaus ein. "Die Prüfermaus hat dir Angst gemacht, darum konntest du nicht mehr rechnen. Das war nicht deine Schuld, sondern die Schuld der Prüfermaus."
Und wie es der Zufall so wollte, verließ die Prüfermaus gerade jetzt das Schulgebäude und ging an den beiden vorbei. "He Prüfermaus, können Sie wirklich rechnen?"
fragte Mausi forsch. "Natürlich kann ich rechnen, sonst wäre ich ja nicht die Prüfermaus."
"Und wieviel ist 13 x 6?"
Da lief die Prüfermaus hochrot an und erwiderte: "Ich habe jetzt Besseres zu tun, als mich auf deine albernen Spielchen einzulassen."
"Sind Sie wirklich so schlecht im Rechnen, dass Sie nicht wissen, dass 13 x 6 = 10 x 6 + 3 x 6 = 60 + 18 = 78 ist?"
Doch die Prüfermaus ignorierte Mausi und ging schweigend davon. "Weißt du was," sagte Mausi zu Mäuselchen: "Die kann gar nicht gut rechnen. Ich kann es viel besser. Und ich kann auch besser erklären. Wir eröffnen jetzt eine eigene Rechenschule und nehmen jeden auf, der Rechnen lernen will."
"Und was soll ich dabei machen?"
"Du hörst den anderen Mäusen zu, wenn sie Sorgen haben. Das kannst du nämlich viel besser als alle anderen Mäuse, die ich kenne."

So gründeten die beiden jungen Mäuse eine eigene Rechenschule und wurden von ihrem eigenen Erfolg überrascht. Denn Mäuselchen war keineswegs die einzige Maus, die auf der Rechenschule versagt hatte. Viele junge Mäuse kamen und wollten das Rechnen lernen und Mausi brachte es ihnen allen bei. Mäuselchen hörte allen jungen Mäusen zu, wenn sie Sorgen hatten. Und in allen Mäusen konnte Mäuselchen einzigartige Stärken erkennen. Die eine Maus war besonders freundlich, die andere konnte gut Niederlagen einstecken. Eine andere konnte sich viele Details merken, wieder eine andere war besonders fair. Alle hatten ihre besonderen Stärken und Fähigkeiten. Mäusepapa und Mäusemama waren stolz auf Mäuselchen. Sie schämten sich dafür, dass sie Mäuselchen so schlecht behandelt hatten und es durfte wieder bei ihnen einziehen.

Doch Mäuselchen wollte sich noch einmal mit der schlauen Maus unterhalten. Diese hatte stets gelehrt, dass jede Maus nur drei Fähigkeiten haben konnte: Arbeiten, rechnen und singen. Aber Mausi hatte die Fähigkeit, gut erklären zu können. Keine andere Maus hatte Mäuselchen die Rechenregeln so schnell erklären können wie Mausi. Und in der neuen Rechenschule gab es viele Mäuse, die alle möglichen weiteren Fähigkeiten hatten. Mäuselchen wollte das unbedingt der schlauen Maus erzählen. Sie suchte die schlaue Maus auf und erzählte ihr von Mausis Fähigkeiten. Doch die schlaue Maus schüttelte den Kopf und sagte: "Jemanden etwas beizubringen, ist doch keine Fähigkeit. Eine Maus kann entweder arbeiten oder rechnen oder singen. Das sind die drei Fähigkeiten einer Maus". "Aber warum ist Erklären keine Fähigkeit?" Da streckte die schlaue Maus ihre Hand aus, wie um Mäuselchen den Weg zu weisen und sprach mit ruhiger, aber fester Stimme:
"Wenn es kein Rechnen gibt, kann man Rechnen auch nicht erklären. Dann kann Erklären doch auch keine Fähigkeit sein."
Und bevor Mäuselchen etwas darauf sagen konnte, eilte die schlaue Maus davon. Mäuselchen lief ihr hinterher, wollte mir ihr sprechen, aber die schlaue Maus ging jedem Gespräch aus dem Weg. Mäuselchen wandte ein, dass man mit der Fähigkeit zu Erklären ja nicht nur Rechnen erklären könnte, sondern auch andere Fähigkeiten. Da antwortete die schlaue Maus wie selbstverständlich: "Das hat doch nichts zu sagen."
Erzählte Mäuselchen von den einzigartigen Fähigkeiten der Mäuse in der neuen Schule, antwortete die schlaue Maus nur: "Das glaube ich nicht."
Schließlich erreichte die schlaue Maus ihr zu Hause und schloss die Tür hinter sich zu, sodass Mäuselchen keine weiteren Fragen mehr stellen konnte. Mäuselchen versuchte immer wieder, mit der schlauen Maus zu diskutieren. Doch die hatte niemals Zeit für Diskussionen und ging jedem Gespräch aus dem Weg. Sie predigte aber weiter, dass eine Maus drei Fähigkeiten haben kann: Arbeiten, Rechnen und Singen.

Doch die Zeit vergeht schnell und für Mäuse vergeht sie besonders schnell. Nach ein paar Jahren ging die schlaue Maus in Rente und Mäuselchen wurde die neue schlaue Maus, bei der viele andere Mäuse Rat suchten. Und Mäuselchen gab allen Rat und half allen, die nicht mehr an sich selbst glaubten. Denn Mäuselchen hatte den Glauben an sich selbst verloren und wieder gefunden und darum glaubte es auch an jede einzelne Maus, mit der sie sprach. Es akzeptierte die Mäuse, unabhängig von ihrer Leistungsfähigkeit und erkannte in jeder einzelnen Maus ganz besondere Fähigkeiten.